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Рецензия на "Военные рассказы" Пепперштейна на сайте novinki.de

VOENNYE RASSKAZY – KRIEGSGESCHICHTEN Pavel Peppersteins Variationen zum Thema Krieg

Ein weltweit gejagter Terrorist wird gefunden. Es ist der irische Autor Benjamin O’Ladden. Seine Manuskripte mit dem Titel War Stories versprechen Einblicke in die terroristischen Motive und inneren Zusammenh?nge des Krieges.

Der russische K?nstler, Schriftsteller und Kunsttheoretiker Pavel Pepper?tejn entwirft dieses Szenario in seinem Prosatext Kriegsgeschichten, der aus dem gleichnamigen, 2006 im Moskauer Ad Marginem Verlag erschienenen Sammelband mit insgesamt drei?ig Kurzgeschichten stammt. Pepper?tejn hat keine Skrupel, einen terroristischen Autor zu erfinden, der am gleichen Projekt – den Kriegsgeschichten – arbeitet. Soll dies ein Hinweis sein auf die Sprengkraft des Wortes?
Pepper?tejn scheut in seinen grotesken Erz?hlungen dabei keine heiklen Themen. Warum gibt O’Ladden vor, sich mit Gulag-Literatur auszukennen? Er lebt im Gebiet Kolyma, dem ehemaligen Straflager Stalins. Mancher Leser wird zu diesem Thema einen anderen Zugang gewohnt sein, etwa durch die Texte Varlam ?alamovs, der auf dieser Insel inhaftiert war. O’Ladden scheint auf eben diesen ?alamov anzuspielen.

Pepper?tejns Kriegsgeschichten ?hneln einem Kaleidoskop: In diesem dreht sich ein wildes Gemisch von Zeichen aus Popkultur, Politik, Geschichte und k?nstlerischer Avantgarde. Michael Jackson und Madonna, Britney Spears und David Bowie treffen als eine Art apokalyptische Reiter zu einem „Gefecht in der Steppe“ zusammen. Es geht hier nicht um die Popstars selbst, sondern um den Zusammenprall ihrer Namen. Diese sind inzwischen so abgenutzt, dass sie nichts mehr bedeuten. Die glatte Oberfl?che der Namen bekommt nun Kratzer, es entstehen ganz neue Wort-Gemische und Bedeutungen. Wenn der Staub des Gefechts verflogen ist, hat sich Pepper?tejns Kaleidoskop wieder ein St?ck gedreht.
In dem Kurzroman Binokel und Monokel, den Pepper?tejn 1999 gemeinsam mit Sergej Anufriev ver?ffentlicht hat und der Teil ihres Romanzyklus’ Die mythogene Liebe der Kasten ist, hatten die Autoren ganz buchst?blich mit optischen Verfahren experimentiert. In Binokel und Monokel bestimmen in den Text eingebaute optische R?hren sowohl den Inhalt als auch das textuelle Verfahren. Die Erz?hlebenen sind wie diese R?hren miteinander verschr?nkt.

Die Aneignung von theoretischen Konzepten, die inzwischen zum Kanon geh?ren und als poststrukturalistisch gelten, ist ein wesentliches Merkmal des k?nstlerischen Oeuvres von Pepper?tejn. Er geh?rte zu den Gr?ndungsmitgliedern der Gruppe Inspektion Medizinische Hermeneutik, die zehn Jahre lang, zwischen 1987 und 1997, Schizoanalyse, Gegenwartsphilosophie und Daoismus mit den k?nstlerischen Praktiken des Moskauer Konzeptualismus verflochten haben. (Pepper?tejns Vater ist der Konzeptualist Viktor Pivovarov.) In ihren Aktionen, Installationen und Texten kn?pften sie an therapeutische Verfahren an, jedoch nicht ohne ironischen Abstand. In ihren „Text-Inspektionen“ entwickelten sie einen „psychedelischen Realismus“, der halluzinogen verfasst ist und zu Wortneusch?pfungen wie „Chronochauvinismus“ gelangt.

Inwiefern das Werk Pepper?tejns in Abgrenzung von den Vaterfiguren zu verstehen ist, deutet der K?nstler in der Performance „Ausstellung eines Gespr?chs“an. Die Ausstellung mit gleichnamigem Titel fand 2001 in der Schweiz statt, das Gespr?ch mit Boris Groys, Ilya Kabakov und Pavel Pepper?tejn wurde 2008 in der Zeitschrift Kultur & Gespenster wiederver?ffentlicht. Pepper?tejn bezeichnet sich da als jemand, der „gew?hnlich friedliche Positionen bezieht“ und so einer Logik der Konfrontation und einer bestimmten Art von Auseinandersetzung absagt, die keine Ambivalenzen zul?sst. Von Groys muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, ein undynamisches Modell zu entwerfen, das es nicht erlaube, „die eigene Epoche zu kritisieren“.

Der Band mit den Kriegsgeschichten ist nur insofern ambivalent, als in ihnen Krieg alles M?gliche hei?en kann: Geschlechterkrieg, Krieg im Kopf als Widerstreit verschiedener Stimmen, der Krieg der Sprachen oder der alten literarischen Fiktion gegen neue Kinofiktion; schlie?lich der ganz „gew?hnliche Krieg“ von Armeen. Das ?bergeordnete Motiv ist daher die Auseinandersetzung an sich, der Konflikt mit allen seinen psychologischen Facetten. Mag also der Autor sich als friedliebend sehen, seine Geschichten sind von gro?er Dynamik, die durchgehend eine Dynamik der Zeichen ist.
In der nur eine Seite langen Geschichte Misslungene Beichte kniet ein Major der SS vor einem russisch-orthodoxen Geistlichen. Dabei steckt er den Kopf unter das Gewand des Priesters, dieser vergibt die S?nden – und erschie?t den Deutschen. M?glicherweise scheitert die Beichte gerade deswegen, weil die Gewaltspirale fortgef?hrt werden muss. Der Erz?hler der Geschichte beginnt mit einem harmlosen „Es war einmal ein Major...“ und endet mit der ironisch beil?ufigen Bemerkung: „Nun, das nennt man eine misslungene Beichte.“

Jede literarische Beichte verstrickt den Leser in die Beichtsituation. In diesem Fall jagt die Kugel des Priesters fast wie diejenige auf dem Cover des Pepper?tejnschen Prosabandes hindurch bis zum Leser und Betrachter. Denn unbetroffen bleibt hier niemand mehr, auch der Leser befindet sich im „Kriegszustand“ mit einem Text, der keine M?glichkeit zur Enthaltung bietet.

Gemeinsam mit dem ebenfalls in Moskau lebenden K?nstler Ivan Razumov hat Pepper?tejn zahlreiche Illustrationen angefertigt, die oft an die Verfahren der Pop-Art erinnern. Sowohl Comic-Stories wie Sin City als auch sowjetische Kinderbuchillustrationen haben Pate gestanden. Den Verweis auf das Pop Genre stellen auch die Spruchblasen her, die oft englisch sind oder das Russische in englischer Transliteration wiedergeben. Die Illustrationen machen die ungew?hnliche Mehrfachbegabung Pavel Pepper?tejns deutlich. Wie produktiv und vielf?ltig sein inzwischen weltweit ausgestelltes und publiziertes Werk ist, zeigt gegenw?rtig eine Ausstellung in der Moskauer Galerie Regina. ?lgem?lde im post-suprematistischen Stil lassen Barack Obama, Malevi? und utopische Stadtszenarien aufeinandertreffen.

Pepper?teins literarische und k?nstlerische Stimme gibt Hoffnung in einer ansonsten recht trostlosen russischen Kunstwelt der Gegenwart. Diese wird inzwischen von rechtsgerichteten Ideologen wie dem K?nstler Aleksej Beljaev-Gintovt bestimmt. Diesem Vertreter „Neuer Ernsthaftigkeit“ wurde f?r ganz andere „Kriegsgeschichten“ im Herbst 2008 mit den Jurystimmen der Deutschen Bank der bedeutende Kandinsky-Preis verliehen.
von Willi Reinecke

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Книга: «Военные рассказы»

Павел Пепперштейн